Schadensminimierung – die aktuelle Situation in Europa (Europäischer Drogenbericht 2024)

Schadensminimierung umfasst Maßnahmen, Programme und Strategien, die darauf abzielen, die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden des Drogenkonsums für Einzelpersonen, Gemeinschaften und Gesellschaften zu verringern. Auf dieser Seite finden Sie die neuesten Analysen von Maßnahmen zur Schadensminimierung in Europa, einschließlich wichtiger Daten über die Opioid-Agonisten-Therapie, Naloxon-Programme, Drogenkonsumräume und vieles mehr.
Diese Seite ist Teil des Europäischen Drogenberichts 2024, des jährlichen Überblicks der EMCDDA über die Drogensituation in Europa.
Letzte Aktualisierung: 11. Juni 2024
Sich ändernde Drogenprobleme führen zu weiteren Herausforderungen in Bezug auf die Schadensminimierung
Der Konsum illegaler Drogen trägt anteilig zur globalen Krankheitslast bei. Zu den Maßnahmen zur Verringerung dieser Last gehören Präventionsmaßnahmen, die darauf abzielen, den Drogenkonsum zu verringern bzw. die Geschwindigkeit, mit der der Drogenkonsum beginnt, zu verlangsamen, sowie das Behandlungsangebot für Personen, die Drogenprobleme entwickeln. Eine Reihe ergänzender Ansätze fällt unter die allgemeine Rubrik der Schadensminimierung. Hier liegt der Schwerpunkt auf der vorurteilsfreien Arbeit mit Drogenkonsumierenden, um die Risiken im Zusammenhang mit Verhaltensweisen zu verringern, die meist mit negativen gesundheitlichen Folgen verbunden sind, und generell die Gesundheit und das Wohlbefinden zu fördern. Eine der wahrscheinlich bewährtesten Maßnahmen in dieser Hinsicht ist die Bereitstellung steriler Injektionsutensilien für injizierende Drogenkonsumierende, um das Risiko von Infektionskrankheiten zu verringern. Diese Ansätze haben im Laufe der Zeit offenbar zu der nach internationalen Standards relativ niedrigen Rate von HIV-Neuinfektionen beigetragen, die heute in Europa mit injizierendem Drogenkonsum in Verbindung gebracht werden. Da sich in den letzten Jahren sowohl die Muster des Drogenkonsums als auch die Merkmale der Drogenkonsumierenden verändert haben, müssen Maßnahmen zur Schadensminimierung in gewissem Maße auch an ein breiteres Spektrum von gesundheitlichen Auswirkungen und Risikoverhaltensweisen angepasst werden. Zu den wichtigsten gehören die Verringerung des Risikos einer Überdosierung von Drogen und die Bekämpfung der oft erheblichen und komplexen gesundheitlichen und sozialen Probleme, mit denen Drogenkonsumierende in stärker marginalisierten und sozial ausgegrenzten Gruppen konfrontiert sind.
Mehrere Maßnahmen sind erforderlich, um die sich ändernden drogenbedingten Schäden zu verringern
Chronische und akute Gesundheitsprobleme werden mit dem Konsum illegaler Drogen in Verbindung gebracht und sind von unterschiedlichen Faktoren bestimmt, wie etwa den Eigenschaften der Substanzen, der Konsumform, den individuellen Vulnerabilitäten und dem sozialen Kontext des Drogenkonsums. Zu den chronischen Problemen zählen die Abhängigkeit und drogenbedingte Infektionskrankheiten. Daneben gibt es eine Reihe akuter Schädigungen, von denen Überdosierungen wahrscheinlich am besten dokumentiert sind. Trotz geringer Konsumprävalenz im Vergleich zur Bevölkerungszahl ist der Konsum von Opioiden nach wie vor für den Großteil der drogenbedingten Morbidität und Mortalität verantwortlich. Injizierender Drogenkonsum erhöht ebenfalls die Risiken. Dementsprechend ist die Arbeit mit Opioidkonsumierenden und injizierenden Drogenkonsumierenden seit jeher ein wichtiges Ziel bei Maßnahmen zur Schadensminimierung und auch der Bereich, in dem Modelle für die Erbringung von Dienstleistungen am häufigsten entwickelt und evaluiert werden.
Dies zeigt, dass in Europa einige Maßnahmen zur Schadensminimierung in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend in die allgemeine Gesundheitsversorgung für Drogenkonsumierende integriert wurden. Ursprünglich lag der Schwerpunkt auf der Ausweitung des Zugangs zur Opioid-Agonisten-Therapie sowie zu Nadel- und Spritzenaustauschprogrammen als Teil der Maßnahmen im Hinblick auf den Hochrisiko-Drogenkonsum, wobei man sich in erster Linie auf den injizierenden Konsum von Heroin und die HIV/AIDS-Epidemie konzentrierte. In den neuesten gemeinsamen Leitlinien der EMCDDA und des ECDC zur Prävention und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei injizierenden Drogenkonsumierenden wird empfohlen, in Gemeinschaftseinrichtungen als auch in Haftanstalten Opioid-Agonisten-Therapien bereitzustellen, um Hepatitis C und HIV vorzubeugen und das Risikoverhalten im Zusammenhang mit dem injizierenden Drogenkonsum zu verringern. In den Leitlinien wird neben der Opioid-Agonisten-Therapie auch die Ausgabe von sterilen Injektionsutensilien empfohlen, um die Reichweite und Wirksamkeit der Maßnahmen bei Personen, die Opioide injizieren, zu maximieren.
In den letzten drei Jahrzehnten wurden die Ansätze zur Schadensminimierung in einigen EU-Ländern erweitert und umfassen nunmehr auch Maßnahmen wie Drogenkonsumräume und Programme zum Mitnehmen von Naloxon, die darauf abzielen, tödliche Überdosierungen zu verringern (Abbildung 13.1). Um die Zahl opioidbedingter Todesfälle zu verringern sind sowohl Maßnahmen zur Vorbeugung von Überdosierungen als auch Maßnahmen zur Verhinderung von Todesfällen bei Überdosierung erforderlich (Abbildung 13.2).
Die Daten umfassen Maßnahmen auf allen Ebenen, einschließlich der Pilotprojekte.
Textversion der obigen Grafik anzeigen
- Verringerung von Todesfällen bei Überdosierung
- Naloxon-Einsatz*
- Ausgabe von und Aufklärung über Naloxon* (Fach- und Rettungskräfte, Gemeinschaft)
- Drogenkonsumräume/-einrichtungen*
- Apps zur Prävention tödlicher Überdosierungen
- Reduzierung des Überdosierungsrisikos
- Opioid-Agonisten-Therapie, Verbleib in der Behandlung und Betreuungskontinuität*
- Gezielte Maßnahmen in Zeiten geringerer Toleranz (z. B. bei Entlassung aus dem Haftanstalt oder Behandlungsunterbrechung)
- Bewertung des Risikos einer Überdosierung, Sensibilisierung für das Thema und Schadensminimierung
- Präventionsstrategien gegen Überdosierung
- Verhinderung der Abzweigung von Arzneimitteln
- Substanzanalysen und öffentliche Gesundheitswarnungen
- Unterstützung der Abkehr von der Injektion zugunsten des Rauchens von Opioiden
- Gezielte Behandlungen (Naltrexonbehandlung, heroingestützte Behandlung)
- Verringerung der Anfälligkeit
- Ganzheitliche Betreuung durch Akteure der psychischen und der allgemeinen Gesundheit
- Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zu gesundheitlicher und sozialer Betreuung
- Programme zur Bereitstellung von Unterkünften
- Unterstützung von Beschäftigungsprogrammen
- Maßnahmen gegen Stigmatisierung
Hinweis: Maßnahmen, bei denen es Hinweise auf einen Nutzen gibt und bei denen wir hohes oder hinreichendes Vertrauen in die verfügbaren Daten haben können, werden durch Fettdruck und ein Sternchen (*) hervorgehoben.
Hinweis: Maßnahmen, bei denen es Hinweise auf einen Nutzen gibt und bei denen wir hohes oder hinreichendes Vertrauen in die verfügbaren Daten haben können, werden durch einen kräftigeren Rahmen hervorgehoben. Ein Großteil der aktuell verfügbaren Erkenntnisse über die in dieser Abbildung dargestellten Maßnahmen ist entweder neu oder wird als unzureichend angesehen, was zum Teil auf die praktischen und methodischen Schwierigkeiten bei der Forschungsarbeit zurückzuführen ist, vor allem bei der Entwicklung randomisierter Kontrollstudien (siehe Spotlight on... Understanding and using evidence) [Fokus auf... Verständnis und Nutzung von Forschungsergebnissen]). Hinzu kommt die Tatsache, dass die Modelle für die Erbringung von Dienstleistungen sich häufig erheblich unterscheiden.
In einigen Ländern gibt es Drug-Checking-Dienste, in denen Drogenkonsumierende prüfen lassen können, welche Substanzen die von ihnen gekauften illegalen Drogen enthalten. Tabletten, die beispielsweise als MDMA gekauft werden, können auch Verfälschungsmittel und andere Drogen wie synthetische Cathinone enthalten. Da viele synthetische Stimulanzien und neue psychoaktive Substanzen inzwischen in Form von ähnlich aussehenden Pulvern oder Pillen auf dem illegalen Markt erhältlich sind, besteht für die Konsumierenden zunehmend die Gefahr, dass sie nicht wissen, welches bestimmte Stimulans oder welche Mischung von Substanzen sie konsumieren.
Die zunehmende Integration der Märkte für neue psychoaktive Substanzen und illegale Drogen führt zu neuen Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit; Beispiele hierfür sind mit synthetischen Cannabinoiden gemischtes Cannabiskraut, mit Cathinonen und Ketamin gemischte Stimulanzien oder neue synthetische Opioiden, die mit Heroin gemischt oder fälschlicherweise als Heroin verkauft werden. Da sich Vergiftungen rasch entwickeln können, ist es wichtiger geworden, zu verstehen, wie eine wirksame Risikokommunikation aussieht. Obwohl die angebotenen Dienstleistungen unterschiedlich sein können, verfügen alle Drug-Checking-Dienste über eine Form der Kommunikation zu Gesundheitsrisiken, indem sie oft Warnmeldungen zu analysierten Drogenprodukten ausgeben und Daten mit anderen Interessenträgern austauschen. Ziel ist es, Schäden für Einzelpersonen (d. h. der Person, die die Substanz zur Analyse vorlegt) und für die Bevölkerung (andere Personen, die derselben Substanz ausgesetzt sein können) zu verhindern oder zu verringern. Künftige Schritte in diesem Bereich könnten eine Harmonisierung und einen Konsens unter den europäischen Drug-Checking-Diensten bei der Festlegung von Kriterien und Schwellenwerten für den Zeitpunkt und die Art der Ausgabe von Warnmeldungen sowie die Annahme von faktengestützten Standardverfahren für die Kommunikation von Gesundheitsrisiken umfassen. Diese Fragen werden in einem kürzlich von der EMCDDA und dem Projekt „Trans-European Drug Information“ erstellten Handbuch über Strategien zur Kommunikation von Gesundheitsrisiken erörtert.
Einige dieser Maßnahmen sind aus Gründen, die ihren Rechtsstatus und die Entwicklung ihrer Evidenzbasis betreffen, nach wie vor umstritten. Die Reichweite dieser neueren Maßnahmen ist daher innerhalb und zwischen den Ländern nach wie vor unterschiedlich, und sie werden häufig nur in Großstädten umgesetzt. Insgesamt gibt es bei der Reichweite der Dienste zur Schadensminimierung und dem Zugang zu diesen, einschließlich der seit langem etablierten und relativ gut belegten Dienstleistungsmodelle, erhebliche Unterschiede zwischen den EU-Ländern, und in einigen Ländern sind sie gemessen am geschätzten Bedarf nach wie vor unzureichend.
Erhöhte Bereitschaft zur Verringerung von durch hochwirksame synthetische Drogen und unbeabsichtigten Konsum bedingte Schäden
Hochwirksame synthetische Substanzen haben zunehmend das Potenzial, drogenbedingte Schäden in Europa zu verursachen, da der unbeabsichtigte Konsum dieser Substanzen in Pulvern oder Mischungen, die als andere Drogen verkauft werden, zu Vergiftungen und zum Tod führen kann. Zusammen mit komplexeren Mustern des polyvalenten Drogenkonsums trägt dies zu den bereits erheblichen Herausforderungen bei der Entwicklung wirksamer Maßnahmen zur Verringerung von Todesfällen durch Überdosierung und drogenbedingten Vergiftungen bei. Ein Beispiel für diese zunehmende Komplexität wurde 2022 – wenn auch in relativ geringem Ausmaß – in Estland beobachtet, wo Gemische identifiziert wurden, die neue synthetische Opioide und neue Benzodiazepine sowie das Beruhigungsmittel Xylazin enthielten. Diese als „Benzo-Dope“ bzw. „Tranq-Dope“ bezeichneten Mischungen wurden in den Vereinigten Staaten und Kanada mit einem Anstieg der Todesfälle durch Überdosierung und anderen negativen gesundheitlichen Folgen in Verbindung gebracht. In jüngster Zeit waren auch die hochpotenten Benzimidazol-Opioide (Nitazene), die wirksamer als Fentanyl sind, in Teilen Europas an lokalisierten Ausbrüchen von Vergiftungen beteiligt (siehe auch Neue psychoaktive Substanzen – die aktuelle Situation in Europa).
Während eines kürzlichen Ausbruchs in Irland wurde mit Unterstützung niedrigschwelliger Dienste eine schnelle Risikokommunikation durchgeführt, die die Verteilung von Flugblättern in offenen Drogenszenen und die Verbreitung von Informationen über soziale Medien und Nachrichtenplattformen umfasste. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Dienste möglicherweise schneller und intensiver als in der Vergangenheit auf Ausbrüche von drogenbedingten Vergiftungen reagieren müssen (Abbildung 13.3). Das Vorhandensein solcher Mischungen und missbräuchlich verkaufter Substanzen auf dem Markt verdeutlicht die Notwendigkeit, die derzeitigen Ansätze in Bezug auf die Umsetzung einiger Maßnahmen zur Schadensminimierung zu überprüfen. So könnte es beispielsweise erforderlich sein, die Verteilung und Ausgabe des Opioid-Antagonisten Naloxon im Zusammenhang mit diesen Mischungen und missbräuchlich verkauften Substanzen zu überprüfen.

Allgemein wäre es angesichts möglicher Entwicklungen auf dem Markt für synthetische Opioide ratsam, die derzeitigen Pläne zu überprüfen, um sich auf eine mögliche Zunahme der Verfügbarkeit und des Konsums synthetischer Opioide oder der mit diesen Substanzen verbundenen Schäden vorzubereiten und darauf zu reagieren. Dies könnte die Verbesserung der Fähigkeiten zur toxikologischen Analyse, der Ausgabe von Warnmeldungen und der Bereitschaft der Fachkräfte vor Ort umfassen. Wenn Drogenkonsumräume vorhanden sind, sollten auch die möglichen Vorteile und Risiken im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Drug-Checking-Diensten geprüft werden. Die meisten Drogenkonsumräume in Kanada bieten beispielsweise einen Drogentest für Fentanyl an. Dies ist derzeit in der Europäischen Union unüblich, doch wurde dieser Dienst kürzlich von einem Konsumraum in Kopenhagen eingerichtet, und Berichten zufolge werden derzeit in diesem Bereich weitere Pilotprojekte in anderen Teilen Europas entwickelt.
Durch Stimulanzien bedingte Schädigungen im Zusammenhang mit unterschiedlichen Konsummustern
Die Verringerung der Risiken im Zusammenhang mit dem injizierenden Drogenkonsum war seit jeher ein wichtiges Ziel von Maßnahmen zur Schadensminimierung, und die Dienstleistungsmodelle sind relativ gut entwickelt und fundiert. Doch selbst in diesem Bereich ergeben sich durch die Veränderungen beim Drogenkonsum neue Herausforderungen in Bezug auf die wirksame Erbringung von Dienstleistungen. In den letzten zehn Jahren kam es in sieben europäischen Städten in sechs Ländern zu HIV-Ausbrüchen im Zusammenhang mit dem injizierenden Konsum illegaler synthetischer Stimulanzien. Im Vergleich zum Heroinkonsum wird eine potenziell erhöhte Injektionshäufigkeit mit dem Konsum von Stimulanzien in Verbindung gebracht; zusätzliche Gesundheitsrisiken bergen auch das Zerkleinern und Auflösen von Crack und anderen Tabletten zur Injektion. Diese Konsummuster werfen beispielsweise Fragen hinsichtlich der Art und Eignung von Nadeln und Spritzen auf, die in offenen Drogenszenen ausgegeben werden, die heute typischerweise durch polyvalentem Drogenkonsum gekennzeichnet sind. Darüber hinaus haben sich die Beschränkungen der Dienste während der COVID-19-Lockdowns vermutlich negativ auf die Tests auf drogenbedingte Infektionen, wie HIV und HCV, sowie auf die Versorgungsmöglichkeiten bei stärker gefährdeten und marginalisierten Gruppen von Drogenkonsumierenden, einschließlich solcher, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, ausgewirkt.
Synthetische Stimulanzien und verschiedene andere Substanzen werden im Kontext des sexualisierten Drogenkonsums von verschiedenen Gruppen, vor allem Männern, die Sex mit Männern haben, konsumiert, um den Sex zu erleichtern und zu verbessern, was als "Chemsex" bezeichnet wird. Diese Definition ist zwar ungenau, wird aber in der Regel verwendet, um ein Umfeld oder Ereignisse zu erfassen, die durch Hochrisiko-Drogenkonsum und risikoreiches Sexualverhalten gekennzeichnet sind. Die beteiligten Drogen können von Stimulanzien wie Methamphetamin, Kokain und synthetischen Cathinonen bis hin zu Alkohol, Depressiva wie GHB/GBL und Dissoziativa wie Ketamin reichen. Obwohl es schwierig ist, die Prävalenz von Chemsex zu schätzen, deuten Daten aus Forschungsstudien darauf hin, dass es sich um ein Problem handelt, das, wenn auch in geringem Ausmaß, bei bestimmten Untergruppen von Drogenkonsumierenden in ganz Europa auftritt. Die Bereitstellung wirksamer Maßnahmen zur Schadensminimierung für Personen mit diesem risikoreichen Verhalten stellt nach wie vor eine Herausforderung dar, und es sind wahrscheinlich maßgeschneiderte Maßnahmen erforderlich. In diesem Bereich bedarf es vermutlich auch einer engen Zusammenarbeit zwischen den Diensten im Bereich der sexuellen Gesundheit und den Diensten zur Minimierung drogenbedingter Schäden.
Neue Herausforderungen und Möglichkeiten der Schadensminimierung
Obwohl Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Europa ist, fehlt es in diesem Bereich häufig an Empfehlungen und Maßnahmen zur Schadensminimierung. Cannabiskonsumierende in Europa rauchen die Droge üblicherweise mit Tabak, weshalb im Zuge der Schadensminimierung wirksame Maßnahmen zur Verringerung von durch das Rauchen verursachten Schäden entwickelt werden sollten. Da sich die in Europa verfügbaren Arten und Formen von Cannabisprodukten laufend ändern, sollten auch Überlegungen dazu angestellt werden, wie sich das auf die Maßnahmen zur Schadensminimierung auswirkt. Generell weisen Cannabisprodukte – sowohl Cannabisharz als auch Cannabiskraut – mittlerweile einen höheren Wirkstoffgehalt auf, da sie mehr THC enthalten als in der Vergangenheit und hochwirksame Cannabisprodukte mit akuten und chronischen Schäden in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus gibt es eine größere Vielfalt von Produkten, wie etwa Edibles, E-Liquids und Extrakte. Diese Veränderungen können neue Herausforderungen mit sich bringen, wenn es darum geht, wirksame Maßnahmen zur Schadensminimierung und Möglichkeiten für deren Umsetzung zu ermitteln.
Cannabis ist nicht der einzige Bereich, in dem Ansätze zur Schadensminimierung eine größere Rolle spielen können. Wie bereits an anderer Stelle im diesjährigen Europäischen Drogenbericht festgestellt, gibt es auch Anzeichen für ein wachsendes Interesse der Konsumierenden an weniger bekannten Substanzen, darunter Dissoziativa und Psychedelika wie z. B. Distickstoffoxid und Ketamin. Diese Substanzen können Schäden verursachen, und einige Konsummuster dürften das Risiko schädlicher Folgen erhöhen, weshalb Möglichkeiten für Ansätze zur Schadensminimierung ermittelt werden sollten.
Während einige Maßnahmen zur Schadensminimierung in einigen europäischen Ländern nach wie vor umstritten sind, wird das Gesamtkonzept, dass faktengstützte Maßnahmen zur Schadensminimierung ein wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen Drogenpolitik sind, weitgehend anerkannt. Die Rahmenbedingungen, in denen die Dienste zur Schadensminimierung tätig sind, die Faktengrundlage und die Standards für die Qualität der Versorgung in diesem Bereich sind daher nach wie vor Schlüsselbereiche, die einer weiteren Entwicklung und weiterer politischer Überlegungen bedürfen. Mit Blick auf die Zukunft zeigen die aufkommenden Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit, die sich aus den dynamischen Märkten für illegale Drogen in Europa ergeben, dass es notwendig ist, neue Modelle von Diensten zu evaluieren, die erforderlich sein könnten, um die Menschen zu schützen, die von schädlichen gesundheitlichen Folgen betroffen sind, die sich aus komplexeren Konsummustern, neuen Substanzen und Gemischen ergeben oder mit bestimmten Untergruppen oder Umfeldern im Zusammenhang stehen.
Der Leitfaden der EMCDDA Health and Social Responses to Drug Problems: A European Guide [Gesundheitliche und soziale Maßnahmen in Bezug auf Drogenprobleme: Ein europäischer Leitfaden] enthält detaillierte Informationen über die Fakten, die in Bezug auf die relative Wirksamkeit der Schadensminimierung und anderer Formen der Intervention existieren.
Wichtige Daten und Trends
Nadel- und Spritzenaustauschprogramme
-
Nadel- und Spritzenaustauschprogramme sind ebenfalls eine allgemein verfügbare und Standardkomponente von Diensten zur Schadensminimierung. Im Jahr 2022 verfügten alle EU-Mitgliedstaaten und Norwegen über Nadel- und Spritzenaustauschprogramme. Die Reichweite von Nadel- und Spritzenaustauschprogrammen und der Zugang zu diesen stellen nach wie vor eine Herausforderung dar, da im Jahr 2022 nur fünf der 17 EU-Länder, für die Daten vorliegen, die Ziele der WHO in Bezug auf die Bereitstellung von Diensten erreicht haben (Abbildung 13.4).
Die Versorgungsrate basiert auf den neuesten nationalen Schätzungen des injizierenden Drogenkonsums und des risikoreichen Opioidkonsums in Verbindung mit Daten zur Schadensminimierung (innerhalb von maximal 2 Jahren). Die Schätzung der Reichweite von Opioid-Agonisten-Therapien für Personen mit risikoreichem Opioidkonsum in Belgien basiert auf einer subnationalen Studie aus dem Jahr 2019.
Opioid-Agonisten-Therapie
-
Die Opioid-Agonisten-Therapie kann als eine wirksame Form der Drogenbehandlung sowie als Dienstleistungsmodell angesehen werden, das einige Ziele der Schadensminimierung verfolgt. Die Opioid-Agonisten-Therapie ist eine bewährte Maßnahme, die in allen europäischen Ländern durchgeführt wird und als Schutzmaßnahme zur Verhinderung von Todesfällen durch Überdosierung anerkannt ist. In den Behandlungskliniken in Europa wird eine Reihe von Arzneimitteln für die Opioid-Agonisten-Therapie verschrieben. Etwa 56 % der Klientinnen und Klienten in Opioid-Agonisten-Therapie werden mit Methadon und weitere 35 % mit Arzneimitteln auf Buprenorphinbasis behandelt.
Programme zum Mitnehmen von Naloxon
-
Bis 2022 haben 16 europäische Länder die Umsetzung von Naloxon-Programmen gemeldet, die Pilotprojekte umfassen, um Todesfälle durch Überdosierung zu verhindern, und 10 Länder berichten, dass sie mindestens einen Drogenkonsumraum eingerichtet haben, um einen sichereren Konsum zu erleichtern und verschiedene Gesundheitsprobleme zu verhindern (Abbildung 13.5).
Daten für die EU-Mitgliedstaaten, die Türkei und Norwegen aus dem Jahr 2023 oder dem aktuellsten Jahr.
Drug-Checking-Dienste
-
Zwölf europäische Länder geben an, dass sie über eine Art von Drug-Checking-Dienst verfügen. Ziel dieser Dienste ist es, Schäden zu verhindern, indem Drogenkonsumierenden die Möglichkeit geboten wird, feststellen zu lassen, welche chemischen Stoffe in den von ihnen gekauften illegalen Substanzen enthalten sind. Manche dieser Dienste bieten auch Beratung oder Kurzinterventionen an. Die von den Diensten eingesetzten Analysemethoden reichen von hochentwickelten Methoden, die Daten zu Stärke und Gehalt einer Vielzahl von Substanzen liefern können, bis hin zu Methoden, mit denen lediglich das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer bestimmten Droge nachgewiesen werden kann (Abbildung 13.6).
Drug-Checking-Methoden, nach zunehmender Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Ergebnisse:
- Mehrere Methoden
(höchste Genauigkeit und Zuverlässigkeit) - Hochleistungsflüssigkeitschromatographie
- Fourier-Transform-Spektroskopie
- Dünnschichtchromatographie
- Reagenzien-Testsatz
(Geringste Genauigkeit und Zuverlässigkeit)
Drogenkonsumräume
-
Während Drogenkonsumräume mittlerweile als Maßnahme zur Schadensminimierung anerkannt sind, bleibt ihre Einführung in einigen Ländern problematisch. Im Jahr 2023 verfügten zehn EU-Länder und Norwegen über derartige funktionsfähige Einrichtungen (Abbildung 13.7). In den Fällen, in denen multikulturelle und neue Einwanderergruppen beteiligt sind, ist für Drogenkonsumierende mit hohem Risiko eine verstärkte Schadensminimierung in der eigenen Sprache wünschenswert.
Quelle: European Network of Drug Consumption Rooms (ENDCR) and Correlation – European Harm Reduction Network (C-EHRN).
Bitte beachten Sie, dass alle hier verwendeten geografischen Koordinaten nur Näherungswerte sind.
Maßnahmen in Haftanstalten
-
Daten der EMCDDA über Schadensminimierungs- und Behandlungsmaßnahmen, die 2022 in Haftanstalten verfügbar waren, zeigen, dass mit Ausnahme der Slowakei in allen EU-Mitgliedstaaten sowie in der Türkei Kontinuität beim Angebot an Opioid-Agonisten-Therapien bestand. In zwei Ländern (Bulgarien, Slowakei) war die Einleitung einer Opioid-Agonisten-Therapie in Haftanstalten nicht erlaubt. Nadel- und Spritzenaustauschprogramme standen in Haftanstalten in drei Ländern zur Verfügung: in allen Haftanstalten in Spanien und Luxemburg (je 2) und in einer Haftanstalt für Frauen in Deutschland. Programme zum Mitnehmen von Naloxon waren in sieben Ländern (Deutschland, Estland, Irland, Frankreich, Italien, Litauen und Norwegen) verfügbar (Abbildung 13.8).
Europäische Situation nach Art der Maßnahme in der Haftanstalt
Quelle: Prison and drugs in Europe: current and future challenges (EMCDDA, 2021) [Strafvollzug und Drogen in Europa: aktuelle und künftige Herausforderungen], ergänzt durch die jüngsten Daten aus den Arbeitsbüchern von Haftanstalten von 2023, nationale Knotenpunkte der EMCDDA
Quelldaten
Die Daten, die zur Generierung der Infografiken und Diagramme auf dieser Seite verwendet wurden, sind nachstehend aufgeführt.
Der vollständige Datensatz der Quelldaten für den Europäischen Drogenbericht 2024, einschließlich Metadaten und methodischer Hinweise, ist in unserem Datenkatalog verfügbar.
Nachstehend finden Sie einen Teilsatz dieser Daten, der zur Generierung von Infografiken, Diagrammen und ähnlichen Elementen auf dieser Seite verwendet wird.